03.06.2022

Einfacher, schneller, flexibler: DB-Kollegen bringen neue Kampfmittelverordnung auf den Weg

Auch wenn der Zweite Weltkrieg mehr als 70 Jahre zurückliegt: Seine Spuren sind immer noch sichtbar. Etwa beim Bauen. Deutschlandweit ist von circa 200.000 Bombenblindgängern im Boden auszugehen. Eine Vielzahl davon befindet sich entlang von Bahnstrecken oder (ehemaligen) Personen- und Güterbahnhöfen – sie waren damals strategische Ziele der Alliierten und sind heutzutage oft Bereiche mit diffusem Kampfmittelverdacht. Hier gibt es also eindeutige Hinweise darauf, dass der Bereich von Kriegshandlungen wie Bombenabwürfen oder Bodenkämpfen betroffen war. Bei Infrastrukturprojekten ist es daher erforderlich, mit einer vorgelagerten Kampfmittelsondierung die Sicherheit auf der Baustelle zu gewährleisten. Das kann aber auch sehr komplex sein und sich als echter Zeitfresser entpuppen, zumindest wenn es nach der alten Regelung in Nordrhein-Westfalen (NRW) geht. 

Es muss einen anderen Weg geben
In NRW erfolgte das Bohren bislang durch eine von der DB beauftragte Firma. Die Sondierung und Auswertung der gewonnen Daten war allerdings Aufgabe der Bezirksregierung und der zuständigen Ordnungsbehörde der Kommune. Die teils tage- oder wochenlangen Zeiträume zwischen der Bohrung und der Auswertung führten dazu, dass nicht weitergebaut werden konnte, was besonders in streng getakteten Sperrpausen zum Problem wurde. „Für uns war klar, dass die Kampfmittelsondierung mit Blick auf langlaufende Großprojekte wie den Ausbau für Emmerich–Oberhausen oder den Rhein-Ruhr-Express anders und vor allem schneller gehen muss“, sagt Stefan Ventzke, Leiter Technik beim Ausbau Emmerich–Oberhausen. Darin war er sich mit seinem Kollegen Artur Wiatowski, Teilprojektleiter beim RRX, einig.
Christian Sester (links) und Stefan Ventzke waren überzeugt, dass es eine schnellere Lösung zur Kampfmittelsondierung geben muss (© DB)
Sie kamen ab 2017 mit Christian Sester ins Gespräch. Dieser ist bei DB Immobilien für die Beratung der bauenden DB-Kolleg:innen zum Thema Kampfmittel zuständig und hatte bereits intensive Erfahrungen mit den Nachteilen der in NRW herrschenden Regelung gemacht – wusste aber auch, dass es in anderen Bundesländern anders und vor allem schneller geht. Die Kollegen riefen eine Initiative ins Leben mit dem Ziel, eine neue Vorgehensweise bei der Kampfmittelsuche in NRW auszuprobieren. Ein Pilotprojekt, das 2018 auf Initiative der DB gemeinsam mit dem Landesministerium gestartet wurde, sollte zeigen, ob diese sich bei den Großprojekten Emmerich–Oberhausen und RRX in den Jahren 2019 und 2020 bewähren kann. Mit Erfolg: Die beharrlichen und jahrelangen Abstimmungen mit den Behörden haben sich ausgezahlt und am 1. Juni 2022 trat in NRW eine neue Kampfmittelverordnung in Kraft.
detail-page:3.content-narrative:3.content-video
Wie die neue Kampfmittelverordnung aussieht, erzählt Kampfmittel-Experte Christian Sester im Video (© DB)
Neben dem Zeitgewinn zählen zu den Vorteilen mehr Flexibilität bei der Planung und Ausführung der Sperrpause und somit eine höhere Terminsicherheit. Außerdem stehen dank der neuen Verordnung auch weiterentwickelte Verfahren und Techniken zur Auswahl, etwa die Dreiachsgradiometersondierung. „Dieses Verfahren hilft uns, in schwierigen Untergründen die räumliche Lage möglicher Kampfmittel zu bestimmen sowie Schrägbohrungen durchzuführen. Dabei erfassen zwei Sensoren jeweils alle drei Achsen im Raum und bieten so zusätzliche Informationen bei der Auswertung“, erklärt Sester. 

Auch die baubegleitende Kampfmittelsondierung, also Aushubarbeiten unter der Weisungsbefugnis eines erfahrenen Kampfmittelräumers, sind nun in der Verordnung erfasst. „Dabei wird der auszuhebende Boden vor, während und nach dem Aushub untersucht und die Arbeiten unmittelbar gestoppt, sobald der erfahrene Experte minimale Anzeichen auf mögliche Kampfmittel erkennt“, führt Sester weiter aus. Das Verfahren stellte bisher in NRW eine rechtliche Grauzone dar.
Die Nachteile halten sich in Grenzen: „Die DB übernimmt zukünftig die anfallenden Kosten für Sondierung und Auswertung durch die beauftragten Kampfmittelfirmen. „Die 40 Euro pro Sondierung holen wir aber schnell wieder rein, weil keine Kosten für zusätzliche Sperrpausen mit erneuter Anfahrt, Sicherungspersonal, etc. entstehen. Diese fallen in der Regel deutlich höher aus“, erklärt Sester. 

Positive Effekte für Infrastrukturprojekte
Die neue Verordnung hat sich zum Teil bereits in der Region West rumgesprochen. Die Kollegen, die den Piloten auf den Weg gebracht, erhielten bereits von einigen Projektleiter:innen und -ingenieur:innen sowie von den Kampfmittelräumfirmen positive Rückmeldungen. „Die Firmen freuen sich, dass sie ihre Expertise von nun an direkt in enger Abstimmung mit uns leisten können“, sagt Sester. Auch er ist stolz auf den Erfolg des Projekts, das zwischenzeitlich seinen gesamten Arbeitsalltag einnahm. Dass ein Team der DB die Änderung einer landesweiten Verordnung bewirkt, passiert nicht alle Tage, zeigt aber, wie viel möglich ist.
detail-page:3.content-narrative:2.content-video
Projektleiter Stefan Ventzke zeigt sich froh über diesen Fortschritt (© DB)